Industrie 4.0 – Die digitale Transformation der Industrie - Woher kommt der Begriff und was zeichnet die vierte industrielle Revolution aus?

December 21, 2020
6 min
Industrie 4.0
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Industrie 4.0 – das Synonym für die vierte industrielle Revolution in Deutschland. Viele kennen diesen Begriff, doch genau wie mit anderen Buzzwords die etwas mit Digitalisierung zu tun haben, bspw. Künstliche Intelligenz, verstehen die meisten etwas anderes darunter. In diesem Artikel geben wir einen Überblick über die industriellen Revolutionen, von denen wir uns momentan in der vierten befinden, und beschreiben was die einzelnen Revolutionen gekennzeichnet hat. Außerdem zeigen wir auf wie Deutschland sich auf die vierte Revolution einstellt und welche Maßnahnamen getroffen wurden und werden, um diese erfolgreich umzusetzen.

Warum eigentlich Industrie 4.0?

Alle vier industriellen Revolutionen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie grundlegende Veränderungen der Arbeitswelt und dadurch der Gesellschaft nach sich zogen. Grundlage jeder der Revolutionen waren neue Innovationen im Bereich der Technik. Die erste Revolution war durch die Ablösung der, bis dahin maßgeblichen, Agrarwirtschaft von der Mechanisierung in Fabriken geprägt. Diese hatte ihren Ursprung ab Mitte des 18. Jahrhunderts in England. Zentrale Bausteine waren die Erfindung des mechanischen Webstuhls und der Dampfmaschine. Diese Erfindungen ermöglichten eine deutliche Steigerung der Produktion und schufen neue Arbeitsplätze in Städten, was wiederum viele Menschen in die Städte zog, um dort zu arbeiten.

Die zweite industrielle Revolution begann ca. 1870 und war geprägt durch die Elektrifizierung, welche die Massenproduktion ermöglichte. Ein Beispiel hierfür ist die Erfindung des Fließbands. Hierdurch konnte die Effizienz der Produktionsstätten deutlich erhöht werden, was wiederum zu günstigen Produkten führte. Während die erste industrielle Revolution durch die Ausbeutung der Arbeiterschaft geprägt war, nahm in der zweiten Revolution der Einfluss von Gewerkschaften zu, welche sich unter anderem für bessere Arbeitsbedingungen und fairen Lohn einsetzten.

Die ab den 60er Jahren einsetzende dritte industrielle Revolution wurde durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie geprägt. Diese neuen Technologien ermöglichten eine fortschreitende Automatisierung von Produktionsprozessen. Die Anlagen, die vorher noch von Menschen bedient wurden, wurden nun immer mehr durch automatisierte Prozesse gesteuert.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die Mechanisierung (erste Revolution), die Massenproduktion (zweite Revolution) und die Automatisierung dieser (dritte Revolution) die prägenden Merkmale der einzelnen industriellen Revolutionen waren.

Vier industriellen Revolutionen
Die vier industriellen Revolutionen

Deutschland und die vierte industrielle Revolution

Nachdem wir beschrieben haben was die anderen drei Revolutionen gekennzeichnet hat kommen wir nun zur vierten. Wie kam es dazu, dass Deutschland eine Industrie 4.0 ausgerufen hat? Und wie wird in Deutschland versucht diese umzusetzen? Diese Fragen klärt der nächste Abschnitt.

Der Begriff Industrie 4.0 wurde durch die „Forschungsunion Wirtschaft und Wissenschaft“ geprägt. Die Forschungsunion hat die Umsetzung der Hightech-Strategie der Bundesregierung von 2006 bis 2013 begleitet. Im Zuge der Hightech-Strategie wurden fünf wesentliche Bedarfsfelder herausgearbeitet: Klima und Energie, Gesundheit und Ernährung, nachhaltige Mobilität, Kommunikation und IT, sowie Sicherheit. Zentraler Bestandteil des Bedarfsfeldes Kommunikation und IT ist das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 [1]. Dieses Projekt soll Deutschlands Zukunft als Produktionsstandort sichern. Industrie4.0 kann als Antwort auf das Internet der Dinge, Daten und Dienste verstanden werden. Durch das Internet der Dinge wird die physische mit der digitalen Welt verschmelzen, wodurch neue intelligente Infrastrukturen entstehen. Wegen der ständigen Vernetzung der Geräte und der damit verbundenen Austauschmöglichkeit relevanter Informationen in Echtzeit wird die nächste Stufe der industriellen Revolution ausgelöst, weil es den Status Quo der Technologie und der Geschäftsmodelle prägnant ändern wird [1]. Die möglichen Auswirkungen des Internet der Dinge lassen sich ebenfalls an prognostizierten Zahlen sehr gut aufzeigen. Im Jahr 2016 wurden 16 Zettabyte an Daten generiert. Dieser Wert soll bis 2025 auf rund 163 Zettabyte ansteigen [2]. Dies entspricht einer jährlichen Wachstumsrate aller Daten von 30 Prozent. Zusätzlich zum Anstieg der Datenmenge, wird eine Verlagerung der Datenquellen stattfinden. Im Jahr 2015 wurde nur ein Bruchteil der Daten durch „Embedded Systems“ generiert. 2025 sollen fast 20 Prozent der anfallenden Daten durch eingebettete Systeme erzeugt werden. Eingebettete Systeme können unterschiedliche Geräte, wie z.B. Überwachungskameras oder Autos sein. Während eine durchschnittliche Person 2015 nur 218 mal am Tag mit Daten in Berührung kam, soll sich diese Zahl bis 2025auf 4.785 erhöhen [2]. Diese prognostizierten Zahlen lassen darauf schließen, dass bis 2025 der Großteil der täglich verwendeten Geräte eine Internetverbindungbesitzt und kommunikationsfähig ist.

Um weiter konkurrenzfähig zu bleiben, muss Deutschland seine Kompetenzen in den Bereichen der Ingenieurswissenschaften, dem Maschinen- und Anlagenbau, sowie in der Softwareentwicklung nutzen, um so die Potenziale des Internet der Dinge ausschöpfen zu können. Da diese Potenziale nur branchenübergreifend vollständig ausgenutzt werden können, hat sich 2012 der Arbeitskreis Industrie 4.0 gebildet, welcher Umsetzungsempfehlungen erarbeitet hat, die 2013 an die Bundesregierung übergeben wurden. Die Umsetzungsempfehlungen bilden die Grundlage der weiteren Forschung, die von den Verbänden BITKOM, VDMA und ZVEI begleitet wird [3]. In den Empfehlungen werden verschiedene Anwendungsbeispiele aufgezeigt und Handlungsfelder beschrieben, für die Forschungsbedarf besteht. Auf Basis dieses Berichtes wurde im April 2015 die Umsetzungsstrategie Industrie 4.0 veröffentlicht. Industrie 4.0 wird dort als eine neue Stufe der Organisation beschrieben. Mit Hilfe von Industrie 4.0 sollen die Informationen von Produkten über ihren gesamten Lebenszyklus jederzeit verfügbar sein [4]. Der Wandel von starren, fest definierten Wertschöpfungsketten, hin zu flexiblen, hochdynamischen und weltweit vernetzten Wertschöpfungsnetzwerken charakterisiert den Wandel der Industrie hin zu einer Industrie 4.0. Das Ziel sind vernetzte Ökosysteme, welche über Unternehmensgrenzen hinweg miteinanderagieren [5]. Zentraler Baustein dieser Netzwerke ist der Begriff der Interoperabilität. Interoperable Systeme sind dadurch gekennzeichnet, dass sie autonom miteinander interagieren und die zu erfüllenden Aufgaben selbstständig erledigen [6].

Unterschied zwischen Industrie 3.0 und Industrie 4.0

Im vorherigen Abschnitt haben wir eine grundlegende Definition von Industrie 4.0 gegeben. Doch ohne ein konkretes Beispiel fällt es oftmals schwer, sich etwas unter solchen Begriffen vorzustellen. Im Folgenden beschreiben wir ein Szenario, wie ein Industrie 4.0 Netzwerk aussehen kann und zeigen auf, wo der Unterschied zwischen Industrie 3.0 und 4.0 liegt.

Als Beispiel soll das Energiemanagement einer Liegenschaft dienen, dargestellt in der folgenden Abbildung.

Beispiel für Industrie 4.0
Energiemanagement in Zeiten von Industrie 4.0

In diesem Szenario haben Kunden keine festen Anbieter für Strom mehr. Die benötigten Energiemengen werden auf Cloud-Plattformen kurz- und mittelfristig mit Hilfe von Algorithmen ersteigert und in leistungsfähigen Batteriespeichern gespeichert. Die Energiemengen können besser prognostiziert werden, da die eingesetzten Geräte miteinander kommunizieren. So können die Anlagen auf die Kalender der Mitarbeiter, die in den Gebäuden arbeiten, zugreifen und ermitteln, wann diese im Urlaub sind, Auswärtstermine haben, oder auf Konferenzen sind. Dadurch können die benötigten Räume bedarfsgerecht geheizt oder gekühlt werden. Durch immer mehr Sensorik in einzelnen Räumen, sowie Temperatur- und Feuchtesensoren in Handys, kann auf kurzfristige Änderungen reagiert werden. Verlässt der letzte Mitarbeiter den Raum, werden die Geräte automatisch ausgeschaltet. Zusätzlich unterstützt eine bessere Wettervorhersage eine gut vorhersagbare Energiemenge. Ebenfalls kaufen Kunden keine Anlagen zur Wärmeerzeugung oder Belüftung mehr, sondern mieten diese für einen Grundpreis und bezahlen die benötigte Energie. Anbieter übernehmen die Verantwortung für Installation und Betrieb der Anlagen. Das unter dem Begriff bekannte „Contracting“ wird durch Standardisierung und Anbindungen an die Cloud einfacher und effizienter. Durch die, von Plattformen zur Verfügung gestellten, Analysetools ist ein energetisch und wirtschaftlich optimaler Betrieb der Anlagen möglich. Die Algorithmen der Plattformen greifen auf die Daten des Betriebes zu und können so feststellen, ob Anlagen im Vergleich zu anderen Anlagen optimal eingestellt sind. Die Tools stellen die Problempunkte der Anlagen dar und geben diese mit optimierten Parametern an die Anlagen zurück. So wird „Contracting“ für Unternehmen, die dieses Angebot zur Verfügung stellen, zu einem lohnenden Geschäftsmodell. Der Kunde muss sich weder um die Anschaffung, den Betrieb oder die Wartung kümmern. Durch die Vielzahl der Anlagen, die durch die Analysetools optimiert werden, werden die Tools immer stabiler und genauer. Der Betreiber einer Liegenschaft muss sich nicht mehr mit einzelnen Kennzahlen auseinandersetzen, um einen Überblick über den Zustand und die Performance seiner Anlagen zu bekommen. Da die Anlagen unterschiedlicher Hersteller und Gewerke grundsätzlich auf den gleichen Informationsmodellen basieren, können einfach allgemeingültige Tools für das Energiemanagement entworfen werden, welche die Performance der Anlagen abbilden. An Hand von Key Performance Indikatoren werden die Kennzahlen der Anlagen zu aussagekräftigen Werten zusammengefasst und dem Betreiber zur Verfügung gestellt.

Das beschriebene Szenario ist auch mit den Werkzeugen die es momentan, also zur Zeit von Industrie 3.0, gibt umsetzbar. Die Umsetzung mit diesen Werkzeugen erfordert jedoch ein hohes Maß an händischem Engineering, um das beschriebene Szenario automatisiert realisieren zu können. Der Grund hierfür ist, dass die unterschiedlichen Komponenten auf unterschiedlichen Informationsmodellen basieren und eine heterogene Semantik verwenden. Zusammengefasst: Die Komponenten sprechen unterschiedliche Sprachen und können deshalb nur kommunizieren, wenn die Komponenten von einem Menschen aufeinander abgestimmt werden. In einer Industrie 4.0 sprechen die Komponenten die gleiche Sprache. Dies ermöglicht eine automatisierte Interaktion, welche der Mensch vorher nicht konfigurieren muss. Basis einer funktionierenden Industrie 4.0 sind daher einheitliche Informationsmodelle und semantische Standards. Hierfür wurden von der Plattform Industrie 4.0 die Konzepte des Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0 und die Industrie 4.0 Komponente entwickelt, die wir in den folgenden Beiträgen näher beschreiben.

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